Luther, Kopernikus und der Papst - Dr. Christian Pinter - Populäre Vorträge

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Luther, Kopernikus und der Papst
Oder: "Der verbotene Kopernikus"

Am 31. Oktober 1517 verfasste Martin Luther seine 95 Thesen - ein Datum, das als Geburtsstunde der Reformation gilt. Etwa gleichzeitig entwickelte Nikolaus Kopernikus seine neue Kosmologie: Er versetzte die Erde in Fahrt, verbannte sie aus dem Zentrum des Universums.

Wie gingen Martin Luther, Philipp Melanchthon und andere Protestanten mit dieser Idee um? Warum wurde sie erst auf Drängen des Vorarlberger Protestanten Georg Joachim Rheticus gedruckt?

Wie verfuhren Katholiken mit der Idee einer bewegten Erde? Weshalb nahm Rom erst ein Dreivierteljahrhundert später offiziell dazu Stellung? Wieso verbot man die kopernikanische Lehre im März 1616? Und was hat das mit der zuvor erfolgten Spaltung des westlichen Christen­tums zu tun?
Ausführlichere Zusammenfassung

Der im polnischen Frombork (Foto unten) wirkende Domherr Nikolaus Kopernikus zögerte Jahrzehnte lang, sein neues Weltbild der Druckerpresse anzuvertrauen. Die Menschheit lebte damals ja noch in einem Kosmos, der tagtäglich um die Erde herumraste – mit all seinen Sternen, der Sonne und den Planeten. Die Erde ruhte vermeintlich völlig unbewegt im Mittelpunkt der göttlichen Schöpfung.
Kopernikus sah das anders: Bei ihm drehte sich die Erde, nicht der Kosmos. Die Erde war auch nicht mehr im kosmischen Zentrum fixiert, sondern lief um die Sonne herum.

Diese unerhörte, neue Kosmologie stand in völligem Widerspruch zur Meinung praktisch aller Naturphilosophen der Geschichte.

Katholische Freunde drängten Kopernikus dennoch, sein Werk zu publizieren.

Auch der Vorarlberger Protestant Georg Joachim Rheticus setzte sich dafür ein.

Er war ein Protegé Philipp Melanchthons, und dieser wiederum ein prominenter Mitstreiter Martin Luthers. Die beiden Reformatoren erfuhren von den seltsamen Ideen des Nikolaus Kopernikus – und fanden sie absurd.

In einem - allerdings privaten - Brief forderte Melanchthon (links sein Denkmal in Nürnberg), solche Geister zu zügeln.
Luther (das Foto am Kopf dieser Seite zeigt dessen Statue in Hamburg) nannte zwei Psalmen und eine Stelle im Buch Josua. Vor allem Josua (links seine Figur am Schönen Brunnen in Nürnberg) wog schwer. Bei wörtlicher Auslegung widersprach die Bibel offenbar dem Kopernikus.

Trotzdem überzeugte der Protestant Rheticus den alternden Astronomen, sein Weltbild zu publizieren. Der Vorarlberger stellte dessen Grundzüge in der "Narratio prima" vor, brachte den Fromborker solcherart in Zugzwang.
Das kopernikanische Werk "Über die Umlaufbahnen der Himmelssphären" ging bei Petreius in Nürnberg in Druck (Foto links).

Rheticus besorgte zunächst die Druckaufsicht, reiste dann jedoch ab und überantwortete diese dem protestantischen Geistlichen Andreas Osiander.

Dieser fügte, ohne Zustimmung des Autors, dem Werk ein Vorwort bei: Es degradierte die neue Kosmologie sinngemäß zu einem mathematischen Modell bzw. einer Rechenhilfe - ohne Anspruch auf Wahrhaftigkeit.

Kopernikus bekam dies nicht mehr mit. Freunde legten dem bereits schwer gezeichneten Mann das druckfrische Werk am Totenbett in die Hände.
In den nächsten sechs Jahrzehnten galt das kopernikanische Werk "De revolutionibus orbium coelestium" (Bild oben) den meisten Gelehrten bestenfalls als Hypothese, als Gedankenspielerei. Nur wenige freie Geister - wie etwa Giordano Bruno - bekannten sich dazu.
Das änderte sich ab 1610, als Galilei seine Himmelsbeobachtungen mit dem jungen Fernrohr veröffentlichte.

Sie konnten das kopernikanische Weltbild zwar nicht wirklich beweisen -  dennoch wandelte sich die neue Kosmologie nun von einer reinen Hypothese hin zu einem recht plausiblen Modell der Wirklichkeit.

In der Folge zitierten nun auch katholische Theologen die gleichen Bibelstellen wie einst Luther.

Galilei versuchte, die Widersprüche zur Heiligen Schrift aufzulösen. Er forderte dazu auf, die entsprechenden Bibelstellen neu zu interpretieren.

Für die Theologen stellte sich die Situation so dar: Nach den Lutheranern und den Calvinisten schickten sich jetzt auch noch Naturphilosophen wie Galilei an, Bibelstellen neu und eigenmächtig auszulegen!

1616 verbot Papst Paul V., die kopernikanische Lehre weiter zu verbreiten. „De revolutionibus ...“ musste „verbessert“ werden.

Die inkriminierten Stellen wurden überklebt und durchgestrichen - oder mit dem handschriftlichen Zusatz versehen, dass es sich dabei eben bloß um reine Hypothesen handle.
Als Galilei später frech gegen das Dekret von 1616 verstieß, beschuldigte man ihn der Ketzerei.

Unter Papst Urban VIII. wurde er von der Inquisition zu lebenslangem Hausarrest in verurteilt. Er verbrachte diesen in seiner Villa in Arcetri (Foto links), nahe Florenz.

1725 fand man den ersten unumstößlichen Beweis für die Bewegung der Erde. Dennoch blieben kopernikanische Werke bis 1835 auf dem Index der verbotenen Bücher.
Später söhnte sich die katholische Kirche mit Kopernikus aus: 1973 zierte sein Portrait sogar zwei Briefmarken der Vatikanischen Post. Galileo Galilei wurde 1992 von Papst Johannes Paul II. rehabilitiert - 350 Jahre nach seinem Tod.
Artikel in der Wiener Zeitung


Wiener Zeitung, 04.07.2015
https://www.tagblatt-wienerzeitung.at/nachrichten/wissen/forschung/761394-Neue-Architektur-des-Kosmos.html?em_no_split=1

Wiener Zeitung, 24.5.2014
https://www.tagblatt-wienerzeitung.at/nachrichten/reflexionen/vermessungen/632532-Josua-im-Zeugenstand.html?em_no_split=1

Wiener Zeitung, 20.2.2016
https://www.tagblatt-wienerzeitung.at/nachrichten/reflexionen/vermessungen/801904-Der-verbotene-Kopernikus.html?em_no_split=1
Wiener Zeitung, 8.1.2017
https://www.tagblatt-wienerzeitung.at/nachrichten/wissen/geschichte/865884-Galileis-groesster-Irrtum.html?em_no_split=1

Wiener Zeitung, 11.7.2021
https://www.tagblatt-wienerzeitung.at/nachrichten/reflexionen/geschichten/2111656-Galileo-Galileis-Hausarrest-in-Arcetri.html

Wiener Zeitung, 12.2.2023
https://www.tagblatt-wienerzeitung.at/nachrichten/wissen/geschichte/2177610-Im-Himmel-wie-auf-Erden.html

Literatur


    • Christian Pinter: Helden des Himmels (Kremayr & Scheriau, 2009)
In diesem Buch gehe ich auch auf die kopernikanische Wende ein

Text, Fotos & Grafiken © Christian Pinter
Alle Angaben ohne Gewähr  

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